Das königliche Spiel

Bruder Andrew.

Er ist der Gründer von Open Doors und wohl der bekannteste Bibelschmuggler der Weltgeschichte – ein Mann, der Glaubensmut personifiziert. Der Mut scheint ihm in den Genen zu liegen. Der Glaube dagegen nicht.

Kurz zu seinem Werdegang: Bereits als Kind zeigte er den deutschen Besatzern gegenüber Abenteuerlust und Mut. Ganz „still“ konnte er selten sitzen. Endlich alt genug für den Wehrdienst, verpflichtete er sich, wurde holländischer Soldat und kämpfte in Indonesien. Dort wurde er verwundet und musste in ein Lazarett. Zur Pause gezwungen, begann er, sich intensiver mit der Bibel zu beschäftigen. Long story short: Er begegnete Jesus Christus – und kam ins glauben. Die Gedanken reiften, und in ihm wuchs die Idee, als Missionar zu arbeiten. Sein Weg führte ihn an eine theologische Ausbildungsstätte. Zentrales Motto des Hauses: „Vertrau auf Gott.“ Dieser Satz sollte ihn prägen.

Die Geschichte von Bruder Andrew illustriert, welche Tiefenstruktur in diesem „frommen und absolut richtigen Satz“ steckt. Er entdeckte, was er das „königliche Spiel“ nannte. Die Entdeckungsreise dieser „Spielweise Gottes” begann unter folgenden Umständen:

Jedes Semester hatte er 30 Pfund für seine Lebenskosten zu zahlen. Das Geld für das erste Semester hatte er sicher in der Tasche. Für die weiteren Semester ging er mit Gott folgenden Deal ein: „Gott, wenn du mich pünktlich immer wieder mit dem Geld versorgst, weiß ich, dass das mein Platz ist.“ 

Was dann passierte – und Gott ihn lehrte – ist das königliche Spiel. Dazu nun im Original aus Bruder Andrews „Der Schmuggler Gottes“ – übrigens auch bei Spotify zum Hören.

Part 1: „Mein Problem war eine Beziehung”

(aus: Bruder Andrew – Der Schmuggler Gottes – S.69f)

"Der eigentliche Zweck dieser Ausbildung ist, unsere Studenten zu lehren, Gott zu vertrauen, dass er tut, was er versprochen hat", sagte Mr. Dinnen zu mir. "Wenn sie von hier fortgehen, sind sie ganz auf sich selbst gestellt; denn sie gehen nicht in die traditionellen Missionsfelder, sondern in neue Gebiete. Sie können nichts leisten, wenn sie Angst haben oder wenn sie daran zweifeln, dass Gott wirklich meint, was er in seinem Wort sagt. So lehren wir hier nicht so sehr Ideen, Vorstellungen, sondern Vertrauen. Ich hoffe, dass sie das auch in einer Schule suchen, Andrew".

"Ja, Sir. Genau!"

"Was die Finanzen betrifft, so wissen Sie natürlich, dass wir kein Schulgeld erheben, weil wir ja keinen bezahlten Stab haben. Die Lehrer, die Leute in London, ich - wir alle bekommen kein Gehalt. Wohnung und Verpflegung sowie andere Lebenshaltungskosten belaufen sich auf nur neunzig Pfund im Jahr. Sie sind so niedrig, weil die Studenten selbst kochen, saubermachen und so weiter. Aber wir bitten, darum, diese neunzig Pfund im Voraus zu bezahlen. Nun weiß ich, dass Sie das nicht können."

"Nein, Sir."

"Dann bezahlen Sie sie in Raten, dreißig Pfund zu Beginn eines jeden Trimesters. Aber um Ihret- und um unsertwillen möchten wir darauf bestehen, dass diese Raten immer rechtzeitig bezahlt werden."

"Ja, Sir, ich bin mit allem einverstanden."

Und so war es auch. Dies sollte mein erster Versuch sein, mich in meinen materiellen Bedürfnissen völlig auf Gott zu verlassen. Ich besaß noch die dreißig Pfund, die ich als erste Semestergebühr aus Holland mitgebracht hatte. Dann würde ich wirklich nur noch erwartungsvoll zusehen, wie Gott das Geld beschaffen würde.

Doch während der ersten paar Wochen geschah immer wieder etwas, was mich beunruhigte. Bei den Mahlzeiten sprachen die Studenten häufig über unzureichende Geldmittel. Wenn sie eine ganze Nacht um etwas dringend Nötiges gebetet hatten, erhielten sie nur die Hälfte oder drei Viertel, von dem, was sie brauchten. Wenn zum Beispiel ein Altersheim, wo die Studenten Gottesdienste hielten, zehn Betttücher brauchte, bekamen die Studenten vielleicht gerade genug, um sechs zu kaufen. In der Bibel stand, dass wir Arbeiter in Gottes Weinberg seien. War das die Art, wie der Herr des Weinbergs seine Leute bezahlte?"

Nun begab er sich eines Abends auf einen Spaziergang durch die Stadt. Direkt am Fuße des Berges, auf dem das Seminar lag, war eine Gegend von der gesagt wurde: "Dort hausten Süchtige, Trinker, ja sogar Mörder und es sei gefährlich dort herumzulaufen." Dennoch ging er. Er war kaum ein paar Häuserblocks gegangen, da hatte er zwei Bettlern schon alles Geld gegeben, dass er zu der Zeit hatte. Und die zogen mit dem Geld direkt in die Kneipe ohne Anstalten zu machen so zu tun als ob sie "etwas Anständiges" damit vor hätten.

Er ärgerte sich darüber. Und verstand nicht, warum er sich darüber ärgerte.

"War ich geizig? Das glaubte ich nicht. Wir waren immer arm gewesen, und das hatte mich nie bekümmert. Was war es dann?

Und plötzlich als ich den Berg hinauf in meine Schule zurückging, hatte ich die Antwort.

Mein Problem war nicht das Geld, sondern - eine Beziehung! In der Schokoladenfabrik (Anm.: wo er vorher arbeitete) hatte ich Herrn Ringers (Anm.: sein Chef) vertraut, dass er mich richtig und pünktlich bezahlte. Natürlich sagte ich mir: Wenn ein gewöhnlicher Fabrikarbeiter in finanzieller Sicherheit leben kann, dann kann das einer von Gottes Arbeitern ebenfalls. 

Ich ging unter dem Torbogen (Anm.: des Seminars) hindurch. Über mir standen die mahnenden Worte: "Vertrau auf Gott!"

Das war's! Was ich brauchte, war nicht die Sicherheit eines bestimmten Geldbetrages, sondern die Sicherheit einer Beziehung.

[…] Wenn ich mein Leben einem König weihen wollte, musste ich diesen König kennen. Wie war er? Wie konnte ich ihm vertrauen? So, wie ich einer Reihe unpersönlicher Gesetze vertraute? Oder konnte ich ihm als einem lebendigen Führer, als einem im Kampf gegenwärtigen Befehlshaber vertrauen? Das war eine zentrale Frage. Denn wenn er nur dem Namen nach ein König war, würde ich lieber in die Schokoladenfabrik zurückgehen. Ich würde zwar ein Christ bleiben, aber ich würde wissen, dass meine Religion nur aus einer Reihe ausgezeichneter Vorschriften bestand, die wohl befolgt werden mussten, aber schwerlich eine völlige Hingabe des Lebens forderten.

Wenn ich jedoch entdecken sollte, dass Gott Person war, dass er mit dem Menschen in lebendige Verbindung trat, sie umsorgte und liebte und führte, dann war das etwas ganz anderes. Das war ein König, dem ich in jede Schlacht folgen würde.

Und während ich im Mondlicht jener Septembernacht dort in Glasgow saß, wusste ich, dass ich mit Hilfe dieses Geldproblems in das Wesen Gottes eindringen würde. In dieser Nacht kniete ich am Fenster nieder rund schloss einen Bund mit ihm.

"Herr", sagte ich, "Ich muss wissen, ob ich dir in praktischen Dingen vertrauen kann. Ich danke dir, dass du mich das Geld für das erste Semester hast verdienen lassen. Ich bitte dich jetzt, für die übrigen Zahlungen zu sorgen. Wenn ich auch nur einen Tag damit in Rückstand komme, weiß ich, dass ich wieder in die Schokoladenfabrik zurückgehen soll."

Es war ein kindisches Gebet, ungeduldig und anspruchsvoll. Aber damals war ich ja auch noch ein Kind im Glaubensleben. Das Bemerkenswerte ist, dass Gott mein Gebet erhörte, aber erst, nachdem er mich noch ein paarmal auf fast ergötzliche Weise geprüft hatte."

 

Einblick 2: Punktlandungen.

(aus: Bruder Andrew – Der Schmuggler Gottes – S.72f)

In der Folge schildert er nun, wie es mit seinem Leben fortging. Als er auf einer Reise durch das Land, in der sie als Studenten Menschen zum Glauben einluden, erlebte wie Gott sie versorgt schreibt er:

"Nach diesem wunderbaren Erlebnis war ich wirklich nicht überrascht, als ich bei meiner Rückkehr ins Seminar einen Scheck von den Whetstras vorfand, der genau die Summer enthielt, die ich für mein zweites Semester zu bezahlen hatte.

Dieses zweite Semester schien noch schneller dahinzugehen als das erste, so viel gab es zu lernen und zu denken. Aber ehe es vorbei war, hatte ich auch schon Geld erhalten, um ein drittes bleiben zu können - diesmal ausgerechnet von einigen Kameraden aus dem Veteranen-Krankenhaus. Und so ging es auch im zweiten Studienjahr.

Ich erwähnte meinen Freunden und Bekannten gegenüber die Studiengebühren mit keinem Wort. Und doch kam das Geld immer gerade so, dass ich sie rechtzeitig und voll bezahlen konnte. Die Summe dieser Geschenke war niemals höher als das Schulgeld, und obwohl die Leute, die mir halfen, einander nicht kannte, trafen auch niemals zwei gleichzeitig ein.

Ich erlebte Gottes Treue ständig, und ich entdeckte auch, dass er Gefühl für Humor besaß.

Ich hatte einen Bund mit Gott geschlossen, dass es mir nie an Schuldgeld fehlen sollte. Dieses Abkommen bezog sich aber nicht auf Waschmittel, Zahnpasta oder Rasierklingen.

Eines Morgens entdeckte ich, dass ich kein Seifenpulver mehr hatte. Als ich in die Schublade griff, wo ich mein Geld aufbewahrte, fand ich nur noch sechs Pennies. Das Seifenpulver kostete aber acht Pennies.

"Du weißt, dass ich mich suaberhalten muss, Herr!" betete ich.

"Willst du mir helfen, dass es mit den zwei Pennies irgendwie klappt?"

Ich nahm meine sechs Pennies und ging in die Geschäftsstraße. Dort sah ich auch gleich ein Werbeplakat:

"Zwei Pennies Rabatt! Kaufen Sie ihr Waschpulver jetzt!

Ich ging in den Laden, machte meinen Einkauf und schlenderte dann pfeifend den Berg wieder hinauf. Wenn ich sparsam war, reichte das Paket bis zum Ende meines Studiums.

Aber gleich am Abend sah mich ein Stubenkamerad ein Hemd waschen und rief:

"He, Andrew! Leih mir ein bisschen Seifenpulver. Meins ist alle."

Natürlich gab ich ihm das Paket und sagte nichts. Ich sah ihm nur zu, wie er mein kostbares Waschpulver herausfließen ließ, und wusste irgendwie, dass er es mir nicht zurückgeben würde. Jeden Tag borgte er sich etwas mehr davon, und jeden Tag durfte ich selbst eben ein bisschen weniger verbrauchen.

Dann kam die Zahnpasta dran. Die Tube war wirklich leer; ausgedrückt, aufgerissen und ausgekratzt - völlig leer. Ich hatte irgendwo gelesen, dass einfaches Tafelsalz ein gutes Zahnputzmittel sei. Meine Zähne wurden auch sauber davon. Aber meine Mundschleimhaut war ständig gereizt.

Und dann die Rasierklingen! Ich hatte meine gebrauchten nicht weggeworfen, und wirklich kam dann auch der Tag, wo ich sie wieder hervorholen musste. Ich besaß keinen Streichriemen und zog sie daher an meinem nackten Arm ab. Zehn Minuten täglich an meiner eigenen Haut! Ich war immer glatt rasiert - aber um welchen Preis!

Diese ganze Zeit über hatte ich das Gefühl, als spiele Gott ein Spiel mit mir. Vielleicht benutzte er all diese Erfahrungen dazu, mich den Unterschied zwischen a Want and a Need - dem Wünschenswerten und dem Notwendigen - zu lehren. Zahnpasta schmeckte gut, neue Rasierklingen rasierten schneller und besser; aber es waren Luxusartikel und keine Notwendigkeiten. Ich war ganz sicher, dass Gott eine wirkliche Not beheben würde.

Das sollte ich schon bald erfahren.

Ausländer, die in England wohnten, mussten in bestimmten Zeitabständen ihre Visa erneuern lassen. Ich musste meins am 31. Dezember 1954 erneuern lassen oder das Land verlassen. Aber als dieser Monat herankam, besaß ich nicht einen einzigen Penny. Wie sollte ich die Formulare nach London schicken? Ein eingeschriebener Brief kostete einen Schilling - zwölf Pennies. Ich glaubte nicht, dass Gott es zulassen würde, dass ich aus dem Seminar geworfen wurde, weil mir ein Schilling fehlte.

Und so geriet das Spiel in eine neue Phase. Ich hatte inzwischen einen Namen dafür gefunden. Ich nannte es "das Spiel nach königlicher Art". ich hatte entdeckt, dass Gott, wenn er für Geld sorgte, das auf königliche und nicht auf niedrige Weise tat.

Drei Mal war ich versucht, mich wegen dieses Briefes von der königlichen Art weglocken zu lassen. Ich war in diesem letzten Jahr Leiter der Studentenschaft und verwaltete die Traktatkasse des Seminars. Eines Tages fiel mein Auge zuerst auf den Kalender - es war der 28. Dezember - und dann auf die Kasse. Zufällig waren damals gerade mehrere Pfund drin. Sicherlich war es in Ordnung, wenn ich mir einen Schilling davon borgte.

Aber nein! Schnell verwarf ich den Gedanken wieder.

Und dann war der 29. Dezember herangekommen. Nun blieben nur noch zwei Tage Frist. Ich merkte gar nicht mehr, wie bitter Salz schmeckte und wie lange es dauerte, eine Rasierklinge an meinem Arm zu schärfen, so stark beschäftigte mich die Sache mit dem Schilling.

An jenem Morgen kam mir der Gedanke, ich könnte die zwölf Pennies vielleicht auf der Erde finden.

Ich hatte tatsächlich schon meinen Mantel angezogen und war ein Stück die Straße hinuntergegangen, als mir klar wurde, was ich tat.

Ich lief den Kopf gesenkt und die Augen auf den Boden gerichtet, und suchte in der Gosse nach Pennies. War das die königliche Art? Ich richtete mich auf und lachte mitten auf der belebten Straße gerade heraus. Mit hocherhobenem Haupt ging ich den Weg zum Seminar zurück; aber meinem Ziel war ich nicht nähergekommen.

Die letzte Runde im Spiel war die heilste von allen. Es war der 30. Dezember. Ich musste meinen Antrag an diesem Tag in den Briefkasten werfen, wenn er am 31. in London sein sollte.

Gegen zehn Uhr vormittags rief einer der Studenten vom Treppenhaus, ich hätte Besuch bekommen.

"Das muss mein rettender Engel sein!" dachte ich und rannte die Treppe hinunter. Aber als ich sah, wer es war, stürzten alle Hoffnungen zusammen. Dieser Besucher kam nicht, um mir Geld zu bringen, sondern um mich um Geld zu bitten. Es war Richard, ein junger Mann, den ich vor Monaten in den Patrick-Slums kennengelernt hatte und der seitdem gelegentlich ins Seminar kam, wenn er Geld brauchte.

Mit schleppenden Schritten ging ich nach draußen. Richard stand auf dem weißen Kiesweg, die Hände in den Taschen, die Augen niedergeschlagen.

"Andrew", sagte er, "haben Sie vielleicht ein bisschen Geld übrig? Ich habe Hunger."

Ich lachte und erklärte ihm, warum. Ich erzählte ihm von dem Seifenpulver und von en Rasierklingen, und während ich sprach, sah ich die Münze.

Sie lag zwischen den Kieseln und blitzte so in der Sonne, dass ich sie sehen konnte, Richard aber nicht. Der Farbe nach musste es ein Schilling sein. Instinktiv stellte ich meinen Fuß darauf. Während Richard und ich uns unterhielten, bückte ich mich dann und hob die Münze mit einer Hand voll Kiesel auf. Ich warf die Kiesel einen nach dem andern ziellos fort, bis ich nur noch den Schilling in der Hand hatte.

Aber in dem Augenblick, als ich ihn in die Tasche steckte, begann mein Kampf. Der Besitz dieser Münze bedeutete, dass ich im Seminar bleiben konnte. Ich würde Richard keinen Gefallen tun, wenn ich sie ihm gab. Er würde sie vertrinken und in einer Stunde wieder Durst haben.

Während ich mir noch mehr vorzügliche Argumente ausdachte, wusste ich, dass das gar keinen Sinn hatte. Wie konnte ich Richard richten, wo Christus mir doch klar sagte, dass ich das nicht dürfe. Außerdem war das bestimmt nicht die königliche Art! Mit welchem Recht hielt ein Gesandter Geld fest, wenn ein andres Kind des Königs vor ihm stand und sagte, es sei hungrig? Ich steckte meine Hand wieder in die Tasche und holte die Silbermünze heraus.

"Sieh, Richard", sagte ich, "hier das habe ich. Würde es dir denn helfen?"

Richards Augen leuchteten auf.

"Aber sicher, Kamerad!"

Übermütig warf er die Münze in die Luft und rannte den Berg hinunter. Mit dem Gefühl richtig gehandelt zu haben, drehte ich mich um und wollte wieder ins Haus gehen. Ehe ich die Tür erreichte, kam der Postbote den Kiesweg herauf.

Er hatte natürlich einen Brief für mich. Als ich Greetjes Handschrift sah, wusste ich, dass er von der Gebetsgruppe in Ringers Fabrik kam und dass er Geld enthalten würde. Und so war es auch. Es war viel Geld: eineinhalb Pfund - dreißig Schillinge. Mehr als genug, um meinen Brief abschicken, ein großes Paket Waschpulver kaufen und mir meine Lieblings-Zahnpasta und die besten Rasierklingen leisten zu können.

Das Spiel war zu Ende. Der König hatte es nach seiner Art gespielt.”